Nahaufnahme – Brennglas Corona

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Aktuelle Themen und Aufgabenfelder des ITDZ Berlin aus der Nähe betrachtet

Die INTERN #02.20 wird zu Beginn des „Lockdown light“ Anfang November finalisiert. Die Gänge sind wieder leerer geworden. Doch im Gegensatz zur ersten Hochphase der Corona-Pandemie wissen wir heute etwas besser, was auf uns zukommt – sind der damit verbundenen Auflagen aber vielfach müde.

Wir gehen darum der Frage nach, ob wir Folgen der Corona-Müdigkeit auch im Arbeitsalltag bemerken, was wir tun können, wenn das Arbeiten von zu Hause aus zunehmend schwerer fällt und wie wir Unsicherheit begegnen.

Darüber sprechen wir Theresa Gorzalka, Betriebliche Sozialberaterin und Stressbewältigungstrainerin.

 

Steckbrief

Wer ist Theresa Gorzalka?
Theresa Gorzalka arbeitet als betriebliche
Sozialberaterin und systemischer Coach bei der Procedo-Berlin GmbH. Sie hat Gesundheitsmanagement mit den Schwerpunkten Organisationspsychologie, Prävention und Gesundheitspsychologie studiert. Donnerstags steht sie im Rahmen der Sozial- und Mitarbeiter*innen- Beratung ITDZ Berlin von 10.30 bis 12 Uhr (Gesundheitsraum, Haus 2) zur Verfügung, um vertraulich über deren Anliegen zu sprechen. Das können unter anderem Themen wie Überforderung, Stressbewältigung, Sucht, Konflikte im Team oder auch private Sorgen sein. Die Sozial- und Mitarbeiter*innen-Beratung kann auch online oder telefonisch genutzt werden.

 

Theresa Gorzalka
Betriebliches Gesundheitsmanagement (M.A.)
Systemischer Coach für Achtsamkeit und kreative Prozessbegleitung

Mobil: 01579 – 235 63 12

theresa.gorzalka@diebildungspartner.de

 


 

Frau Gorzalka, mit dem zweiten Lockdown in der Light-Variante: Denken Sie, es gibt bei den Menschen inzwischen so etwas wie Corona-Müdigkeit?

Der Begriff „Corona-Müdigkeit“ ist natürlich noch gar nicht so alt und daher noch nicht so richtig definiert. Die World Health Organisation WHO spricht seit Oktober 2020 von epidemic fatique, also so etwas wie Epidemie-Sattheit. Damit meint sie, dass die Risikowahrnehmung bei den Menschen im Sommer nicht mehr so stark ausgeprägt war. Viele hatten sich an die Gefahr des Virus gewöhnt, so dass auch die Angst davor abnahm. Sie hatten es satt, sich im Alltag einzuschränken. Die Folgen haben wir dann im November gesehen.

 

Ist Corona bei Ihren Terminen jeden Donnerstag im ITDZ Berlin ein Thema?

Konkrete Sätze in die Richtung: „Ich habe mit Corona Probleme“ gab es bisher nicht. Corona ist eher ein Brennglas für andere Dinge, die schon länger unter der Oberfläche lagen und nun ans Licht kommen. Konflikte oder Belastungssituationen zum Beispiel, die ungelöst sind oder nicht angesprochen wurden. Meine Kollegin und ich werden dabei häufig erst recht spät kontaktiert, wenn sich schon so manches angehäuft hat. Wir müssen dann erst einmal die Gedanken sortieren, um zu sehen, worum es konkret geht.

 

Wie könnte man am Arbeitsplatz Corona-Müdigkeit an sich feststellen?

Wenn Mitarbeitende präventive Maßnahmen im Alltag lax handhaben und das dann auch auf den Arbeitsplatz übertragen. Viele Menschen halten Maßnahmen gerne ein, wenn sie sich für sie „lohnen“. Bei neuen Corona- Maßnahmen fragen sich manche eventuell: Ergibt das für mich jetzt Sinn? Dahinter steckt ja eine ein Maß an Ungewissheit. Denn wer weiß schon, was kommt und was sein wird? Das strengt an, macht müde, drückt auf die Stimmung am Arbeitsplatz und kann unterschwellig auch für Verunsicherung sorgen.

 

Was kann aus dieser Verunsicherung folgen?

Unsicherheit kann Anspannung bedeuten. Anspannung braucht als Gegenpol gelegentliche Entspannung. Wenn man die nicht findet, führt das zu Erschöpfung. Typische psychische Folgen können eine sinkende Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit sein sowie eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Reizbarkeit, mangelnde Motivation bei neuen Aufgaben sowie Entscheidungsschwäche. Zudem vernetzen sich unsere Gedanken nicht mehr so gut.

 

Homeoffice ist seit dem Frühjahr Usus geworden. Für manche ist das aber ein Arbeitsmodus, der ihnen nicht so leichtfällt und ihnen Motivation entzieht. Wie kann man sich selbst neu motivieren?

Wenn einem dieser Zustand selbst auffällt, ist das schon einmal ein guter erster Schritt. Dann sollten Betroffene schauen: Was ist genau die Ursache meiner sinkenden Motivation? Wo verhalte ich mich anders als im Büro? Stresst mich die Situation oder der Arbeitsmodus an sich? Bewege ich mich zu wenig? Ernähre ich mich gesund, trinke ich genug? Ich würde Mitarbeitenden auch empfehlen, sich für den Feierabend etwas vorzunehmen, auf das sie sich freuen können. Jetzt besteht die Chance, sich Aktivitäten, Hobbies und Dingen zu widmen, die sonst liegenbleiben oder nie angefangen werden.

 

Wenn einen das Homeoffice stresst, was wäre dann zu tun?

Im Büro gibt es willkommene Routinen – wenn die wegfallen, ist es schwierig, in die Gänge zu kommen. Mein Tipp: die Routinen einfach weiterführen. Am besten zum gleichen Zeitpunkt aufstehen, dann Zeitplan für morgens und nachmittags erstellen, wie immer Kaffee machen, ein Gespräch mit einem Kollegen vereinbaren, kleine Aufgaben festlegen und sich daran entlangarbeiten. Ich empfehle vor allem viel Bewegung. Die lässt sich relativ einfach in den Tagesablauf einbauen. Vor dem Beginn im Homeoffice eine Runde um das Haus und die Treppen rauf und runter gehen und das Ganze spätestens nach der Mittagspause wiederholen. Hat jemand trotz einer guten Routine das Gefühl, dass er oder sie sich nicht mehr konzentrieren kann, hilft ein Gespräch mit der Führungskraft. Gemeinsam können Mitarbeiter, Mitarbeiterin und Führungskraft überlegen, ob sich Aufgaben anders verteilen lassen.

 

Manche können gut mit der Corona-Situation und ihren Folgen umgehen, vereinzelt haben Menschen aber auch Angst. Was können diese Menschen tun?

Angst rational zu begegnen ist häufig nicht hilfreich. Denn sie ist eine starke Emotion, ein Gefühl des Kontrollverlusts. Es ist jedoch möglich, sie in kleineren Stücken zu verarbeiten. Mitarbeitende können sich zum Beispiel fragen, ob die eigenen angstgesteuerten Gedanken alle wahr sind, um sie Stück für Stück durchzugehen. Denn meistens wird man dabei etwas in die Zukunft projizieren, das noch gar nicht da ist. Da spielt uns unser Gehirn einen Streich aus uralter Zeit.

 

Was ist der Instinkt hinter diesem Mechanismus?

Wer zu Zeiten des Säbelzahntigers Angst hatte, konnte entweder fliehen, kämpfen oder in Starre verfallen. Unsere Angst hatte eine große Schutzfunktion. Aber wann sind wir denn heute wirklich in Gefahr? Im Moment meistens nicht. Also unbedingt versuchen, in die Gegenwart zurückzukommen!

 

Wie kann dieses Zurückkommen gelingen?

Das geht durch innehalten, durchatmen, die Gedanken wahrnehmen und sie dann wieder loslassen. Meine Tipps an die Mitarbeitenden im ITDZ Berlin: Halten Sie Ihre Alltagsroutinen ein und pflegen Sie regelmäßig Kontakt zu Personen, die Ihnen nahestehen. Erwarten Sie an schwierigen Tagen nicht zu viel von sich. Informieren Sie sich zu bestimmten Zeiten am Tag bei vertrauenswürdigen Quellen und machen Sie sich bewusst, dass Sie mit Ihrer Angst nicht alleine sind. Wenn es eine lähmende Angst ist, sollten Sie sich ärztlichen oder psychologischen Rat einholen. In einer akuten Krisensituation hilft auch der Krisendienst.

 

Die Politik geht trotzdem auf Nummer sicher und gibt vor, wie wir uns im öffentlichen und privaten Leben zu verhalten haben. Manche fühlen sich dadurch bevormundet. Wie kommt das?

Der Wunsch nach Selbstbestimmung ist tief in uns verwurzelt. So kann es passieren, dass wir auf eine Vorgabe, die wir als zu ausgeprägt wahrnehmen, allergisch reagieren, obwohl die Vorgabe an sich eigentlich Sinn ergibt. In der Psychologie nennt man das Reaktanz. Man geht kaum ins Theater – aber wenn man es offiziell nicht mehr darf, fühlt man sich auf einmal eingeschränkt. Regeln werden eben unterschiedlich wahrgenommen und gewichtet – vor allem wenn man das große Ganze nicht erkennen möchte.

 

Dennoch bleibt die Ungewissheit, was die nächsten Wochen oder Monate sein wird …

Ungewissheit ist die kleine Schwester der Angst und der Anfang eines möglichen Strudels, der zu Demotivation und depressiven Stimmungen führen könnte. Dabei besitzen wir alle die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen. Jeder kann das – davon sind wir überzeugt!

 

                                                                    

Katrin Dirksen, US3
Das Interview führte Lutz Leukhardt,
Die Texterkolonie

 

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